VON FALSE FLAGS UND KRIEGSVERWIRRUNGEN
UKRAINISCHE »SIMS 3«–TERRORISTEN
»Das erste Opfer des Krieges ist die
Wahrheit«, das stellte der republikanische
US-Senator Hiram Johnson schon 1914 zu
Beginn des ersten Weltkrieges fest.
Jeder Krieg bis in die Gegenwart ist immer
auch ein Kampf um die Deutungshoheit. So
ist es nicht verwunderlich, dass der russi-
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Moskau als Geheimmission gegen einen
von Nationalsozialisten kontrollierten Nachbarstaat
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MORITZ
gedeutet wird. Selbstverständlich
spielt bei dieser Version der Wirklichkeit
keine Rolle, dass Staatspräsident Wolodymyr
Selenskyj selbst Jude ist. Auch aus bei
den russischen Gräueltaten in Butscha ermordeten
Zivilisten werden in der Moskauer
Kriegspropaganda mal eben »Schauspieler
«, die als lebende Leichen im »The
Walking Dead«-Modus ihr Unwesen treiben
sollen. Und selbst bei schwer zu kaschierenden
Vorfällen, wie dem Untergang des
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nach Meinung Moskaus die raue See für eine
Explosion an Bord verantwortlich und
nicht etwa ukrainischer Beschuss.
Die Wahrheit in einem Krieg ist also ohnehin
schon sehr dehnbar. Noch besser ist es
aber, wenn man sie selbst fabrizieren kann.
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können Ereignisse von landeseigenen Kräften
erzeugt und dann mir nichts, dir nichts,
einfach dem politischen oder militärischen
Gegner zugeschrieben werden. Eines der
bekanntesten Beispiele ist der »Tonkin-
Zwischenfall« von 1964, bei dem eine
Falschmeldung von angeblichen Torpedo-
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dox als Grund für den Eintritt der USA in
den Vietnamkrieg genommen wurde.
Damit ein solches Manöver funktionieren
kann, ist allerdings eine gewisse Fingerfertigkeit
von Nöten, um mit viel Geschick
und feiner Nadel ein möglichst glaubwürdiges
Szenario zu stricken. Doch statt Feingefühl
setzt man in Russland wohl eher auf
den Holzhammer und Kreativität wird
durch Dienst nach Vorschrift oder besser
gesagt Wortlaut ersetzt. Anders jedenfalls
lässt sich nicht erklären, wie der russische
Inlandsgeheimdienst FSB Ende April die
wohl peinlichste Inszenierung der vergangenen
Jahre vergeigt hat.
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Ukrainische »Neonazis« sollen einen
Anschlag auf den russischen Fernsehmoderator
und Putinvertrauten Vladimir
Solovyov geplant haben. Dafür hätten die
Möchtegern-Assassinen gemeinsam mit
ukrainischen Geheimdiensten vorgehabt,
eine Autobombe zu platzieren. Der FSB habe
schnell reagiert und die Attentäter aufgehalten.
Gefunden hat man dabei auch
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lei Nazi-Memorabilien und am aller-
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erschienenen Videospiels »Sims 3«.
Nun mag der ein oder andere verwundert
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spiel zur Ausstattung einer Untergrund-
Terroristenorganisation zählen sollte. Nun
ja, da scheint einem treu nach Wortlaut
handelnden FSB-Mitarbeiter wohl ein kleiner
Fehler unterlaufen zu sein. Statt drei
SIM-Karten für Mobiltelefone, die er besorgen
sollte, um die Telekommunikation der
Terroristen vorzugaukeln, hat er eben drei
»Sims 3«-Spiele gekauft. Für diese Theorie
spricht auch, dass die angeblich so gut mit
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sichtlich über keine Kommunikationsgeräte
verfügte.
Auch wenn dieser erstaunlich dilettantische
Versuch auf den ersten Blick lustig
erscheint, zeigt er doch, mit welcher unglaublichen
Härte aktuell ein Informationskrieg
um die korrekte Auslegung der
Ereignisse rund um den Ukraine-Krieg
geführt wird. Gerade weil es so langsam
Sommer wird, heißt es also aktuell, einen
kühlen Kopf zu bewahren und sich genau
zu informieren. Aber vor allem sollte man
mal wieder die Sims 3 auspacken und das
virtuelle Alltagsleben als Sim abseits von
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Alexander Hinssen
£ ZU ENDE GEDACHT
Foto: Twitter/@francska1
Vom FSB präsentierte Fundstücke einer angeblich ukrainischen Terrorzelle in Russland inklusive drei Sims 3 Computerspielen