rt-04

MORITZ_TB_102017

STORY REUTLINGENS ROTER ROCKLEHRER Am 8. Oktober 1977 übernahm Wolfgang Kohla die Pacht der Reutlinger Kult-Rockkneipe »Kaiserhalle«. MORITZ-Redakteur Thomas Moegen besuchte »Kohla« und sprach mit ihm über 40 Jahre Kaiserhalle, die wilden Partys und Konzerte sowie über seine bewegte politische Vergangenheit. Mit Wolfgang Kohla kann man sich schnell verquatschen. Aber er hat auch viel zu erzählen. »Kohla«, wie ihn hier alle nennen, wurde als neuntes Kind einer schlesischen Bauern- und Flüchtlingsfamilie 1947 bei Vilshofen geboren und kam zwei Jahre später nach Rommelsbach. Mit Vater Franzl verband ihn die Liebe zu Pferden. »Manche nennen mich den Pferdefl üsterer. 1984 kassierte ich 4.000 Mark durch unbezahlte Deckel ein, kaufte ein Pferd und wurde Freizeit-Westernreiter«. Obwohl seine Mutter Franz Josef Strauß gut fand, war die Familie eher unpolitisch. Wolfgang hingegen politisierte sich früh. »Ich komme aus einer katholischen Famile, christliche Werte wie Nächstenliebe waren mir wichtig. Ende der 60er-Jahre kam ich über die ,Christen für Sozialismus‘ zu den Jungsozialisten und war aktiv für die ,IG Druck und Papier‘. Bei einer meiner Flugblattaktionen schlug mir ein Rothaariger von Enslin Druck auf der Wilhelmstraße richtig in die Fresse. Damals war es ernst, heute lachen wir uns darüber tot«. Wenn Kohla über Politik, Anti-Vietnam-Demos oder den Reutlinger Schülerstreik spricht, stechen seine hellblauen, klaren Augen hervor und er errötet leicht. »Heute schäme ich mich für die ganze DDR-Kacke und dass ich die Mauer damals für den anti-imperialistischen Schutzwall hielt. Hinterher ist man immer klüger«. 1969 diskriminierte ein Offi zier der Graf-Stauffenberg-Kaserne in Sigmaringen während Kohlas Militärdienstes einen Soldaten mit einem Sprachfehler. Als dieser dann auf Wache Selbstmord beging, kam es zu einer Welle an Austritten. Auch Kohla verweigerte. Nach dem Lehramts- Studium mit Schwerpunkt Wirtschaft in Tübingen bedurfte es 1975 einer Unterschriftenaktion, »Kohla in den Schuldienst«-Demos und dem Nachhaken des Südwestfunks, bis Kohla vom Kultusministerium zum Referendariat zugelassen wurde. »1973 trat ich in die Deutsche Kommunistische Partei ein, weil mir die SPD zu lasch war. Meine Schüler und meinen Beruf in der schwarzen Ravensburger Strafkolonie habe ich geliebt. Ich war Vollblutlehrer«. Im Februar 1977 erhielt er Berufsverbot, ein gewonnener Prozess und erneute Proteste halfen nichts. Sein Marsch durch die Institutionen war gescheitert, sein Traumberuf blieb ihm verwehrt. »Der Schnitt tat weh, aber was war, war«, sagt Kohla. Dann fand er seine Berufung als Wirt der Kaiserhalle. »Ich habe den Kaisergrill, der damals wie ein Wiener Wald-Restaurant aussah, von Laszlo Abraham übernommen, stand hinter dem Herd und war ein guter Gastgeber«. Für seine »Reutlinger«, spezielle Fleischküchle mit Bauernbrot, standen die Gäste beim Mittagstisch sogar bis auf die Straße an. An den Wänden der Kaiserhalle erinnern Bilder, Aufkleber und gemalte Schriftzüge an die Rockgeschichte der Kaiserhalle. »Max Herfert, damals Frontmann von Good‘n‘Amnd, geriet bei ,Born to be wild‘ mal in den Ventilator und spielte mit dann mit Klopapier- Turban weiter«. Auch Kohla ist aus harten Holz geschnitzt, arbeitet und rockt oft bis morgens mit. »Die Zeiten sind härter geworden, das Ausgehverhalten hat sich verändert und die Leute kommen erst gegen Mitternacht. Eigentlich wollte ich noch zwei Jahre weitermachen, aber Sebastian Kurz und Richard Lottholz werden jetzt einsteigen.« Kohla verändert sich, die Kaiserhalle wird eine ehrliche Musik-Kult-Kneipe und Reutlinger Szene-Insel bleiben. tmo 40 Jahre Kaiserhalle Fr. 29. & Sa. 30.9., Fr. 6. & Sa. 7.10., Fr. 22 Uhr, Sa. 21 Uhr, Kaiserhalle, Reutlingen, www.kaiserhalle-event.de Foto: Anja Hild/Pixalot 4 MORITZ 2017-10


MORITZ_TB_102017
To see the actual publication please follow the link above