Gesichter
LATE-NIGHT LEGENDE:
HARALD SCHMIDT
Harald Schmidt ist ein echter Nürtinger. Der
Vater der deutschen Late-Night Talkshows
wuchs in der schönen Stadt am Neckar als
Sohn zweier heimatvertriebenen Eltern auf. Sein Vater
Anton stammte aus dem westböhmischen Karlsbad, seine
Mutter Martha aus Nikolsburg in Südmähren. Als Junge
war bei den katholischen Pfadfindern und wuchs nach
eigenen Angaben in einer streng katholischen Familie auf.
Später wurde er nach einer Ausbildung an der Kirchenmusikschule
in Rottenburg am Neckar Kirchenmusiker mit CAbschluss
und wirkte als Organist in der katholischen Gemeinde
St. Johannes in Nürtingen. Auch seine schulische
Ausbildung absolvierte Schmidt in Nürtingen, wo er nach
dem Besuch des Max-Planck-Gymnasiums und am Hölderlin
Gymnasium sein Abitur im Jahr 1977 ablegte. Schon in
seiner Schulzeit galt er als Klassenclown und fiel durch
seine kabarettistisch-parodistischen Einlagen auf.
Anschließend zog es ihn auf die Bühne, wo er zeitlebends
seine Heimat fand. 1978 begann er seine schauspielerische
Karriere als Statist am Württembergischen Staatstheater
Stuttgart. Nach weiteren Stationen an der Städtischen
Bühne in Augsburg und im Düsseldorfer Kom(m)ödchen,
begann er 1985 seine kabarettistische Laufbahn mit seinem
ersten Soloprogramm »Ich hab’ schon wieder überzogen
«. Der Rest ist Geschichte. Inzwischen zählt der
mehrfach ausgezeichnete Schmidt, unter anderem mit
dem Grimme-Preis, Tele-Star, Bambi, oder der Goldenen
Kamera, zu den bekanntesten deutschen Entertainern. Vor
allem durch seine vielen Late-Night Shows, in denen er als
süffisant bissiger Moderator zu überzeugen verstand, hat
78 STADT NÜRTINGEN 2022
er in der ganzen Bundesrepublik Kultstatus erlangt.
Das er der Stadt seiner Kindheit und Jugend verbunden
ist, zeigt nicht zuletzt sein mit wunderschön Schmidtscher
Ironie getränktes Maientagsgedicht, das er anlässlich
der Heimattage Baden-Württemberg verfasste, die
1989 in Nürtingen stattfanden:
»Amerika hat den Tag der Unabhängigkeitserklärung,
Paris den Sturm auf die Bastille und Nürtingen den
Maientag. Am Maientag regnet es. Meistens. Oder es
fängt an zu regnen, kurz nachdem der Umzug losgegangen
ist. Oder das Wetter hält grad noch, bis der Umzug
fertig ist. Oder es gießt am Abend vorher,beim Maientagssingen
der Schulen im Hof der Stadthalle wie aus
Kübeln und am nächsten Morgen ist das schönste Wetter.
Was koiner denkt het. Beim Maientags singen sind
nicht ganz so viele Leute da wie später im Festzelt
oder beim Boxautofahren, aber alle singen am Schluss:
Geh' aus mein Herz und suche Freud.
Hier ist allerdings nicht die Rede vom Wiener Erfinder
der Psychoanalyse, (Kalauer, wird in den Hausaufsätzen
der Hölderlinstadt normalerweise nicht geduldet!)
sondern es handelt sich um eine Art Nürtinger Nationalhymne.
Der Fremdling staunt vor allem bei den Zeilen
Narzissen und die Tulipandie fühlen sich viel schöner an
als Salomonis Seide, über die Artikulation der »a« in
»Tulipan« und »schöner an«, eine Mischung aus a, o und
Stöhnen, die für den Nicht-Nürtinger (Reigschmeckten)
nicht erlernbar ist. Am Vormittag haben die Schulkinder
zu meiner Zeit drei Brezeln und eine Mark erhalten,
finanziert aus den Zinsen eines Nürtingers, der
»in Amerika reich worra isch«.
Am Maientag selber herrscht auf gut Schwäbisch heileif.
Ab sechs Uhr morgens ist bei den Damenfriseuren keine
Trockenhaube mehr frei, feinsinnige Mitbürger werfen
einen besorgten Blick gen Himmel, die Schüler denken:
»Hoffentlich fangts net a zom schiffa«. Gegen zehn Uhr
nimmt der Festzug an der Stadthalle Aufstellung. Die
Klassiker im Zug sind »Stadtbrand«, Rulaman, Stadtgarde
Er ist bekannt aus Funk und Fernsehen und
zeigt sich gerne von seiner ironischen Seite.
Harald Schmidt ist ein waschechter Nürtinger,
der in der Stadt am Neckar seine Jugend
verbrachte und von hier aus in die weite
Welt des Showbuisness aufbrach. Seiner
Heimat bleibt er aber immer verbunden.