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GÖPPINGENS OB ALEX MAIER
»VIELFALT, DIE UNS REICH MACHT«
4 2022-09
MORITZ
JOURNAL
ren schadet. Dieser Konnex zwischen Toleranz,
Solidarität, aber auch Eigenverantwortung,
eigener Freiheit – das war bei den
Grünen, fand ich, deutlich besser ausgewogen
als bei allen anderen Parteien.
Apropos offene Gesellschaft: Sie haben
vor zehn Jahren den Verein »Göppingen
Nazifrei« gegründet. Was macht dieser
Verein?
Der Verein hat sich damals als Reaktion
auf die Neonazi-Aufmärsche in Göppingen
gegründet. Es gab für mich eine Art
Schlüsselerlebnis: Da war eine von diesen
Kundgebungen vor dem Rathaus, vielleicht
20 Leute oder so, und anschließend
gabe es ein großes Bild in der Zeitung mit
der Überschrift »20 Neonazis demonstrieren
« oder so ähnlich. Und ich dachte mir:
So eine Überschrift will ich in der Zeitung
nicht sehen. Zwar kann man diese Demos
nicht einfach so verhindern oder verbieten.
Aber mein Ziel war wenigstens eine
Schlagzeile zu lesen: »20 Neonazis demonstrieren,
aber 500 Friedliche Gegendemonstranten
gehen auf die Straße.« Wir
haben mit dem Verein also Gegendemos
organisiert und viel Aufklärungsarbeit betrieben.
Also Flyer verteilt und über
rechtsextreme Aktivitäten im Landgreis informiert.
Der Zweck des Vereins ist leider
immer noch vorhanden und deshalb wird
es ihn wohl noch weiterhin geben.
Warum ist der Kampf gegen rechts so
wichtig für Sie?
Der Rechtsextremismus greift im Endeffekt
alles an, was gut ist in diesem Land. Alles,
was dieses Land auch ausmacht, die
Vielfalt, die uns alle reicher macht – und
zwar auch im wahrsten Sinne des Wortes,
also monetär. Denn der Wohlstand in
Deutschland baut auf Vielfalt auf. Der baut
darauf auf, dass man sich international vernetzt,
dass Menschen aus ganz unterschiedlichen
Ländern hierherkommen.
Wenn ich das angreife, dann schlage ich
die Axt in die Wurzel unseres Wohlstands
und unseres ganzen demokratischen
rechtsstaatlichen Systems. Deshalb ist der
Rechtsextremismus meiner Meinung nach
die Bedrohung für die freiheitlich demokratische
Grundordnung schlechthin.
Wenn sie als Göppinger an Ihre Heimatstadt
denken: Was zeichnet sie in ihren
Augen aus?
Positiv ist auf jeden Fall: Wir haben eine
Stadt, wo man innerhalb von zehn Minuten
immer im Grünen sein kann und die
trotzdem von der Lage her als Mittelzentrum
zwischen Stuttgart und Ulm perfekt
liegt. Wir sind eine klassische Industriestadt,
mit allem, was daran gut und
schlecht ist. Wir haben starke Firmen, wir
haben eine starke Substanz. Die Leute
hier sind Schaffer, sie sind fleißig und direkt.
Wir haben auch ein unheimlich aktives
ehrenamtliches Engagement. Ich weiß,
das haben viele Städte. Aber allein diese
Vielfalt an Veranstaltungen: Man kommt
hier im Sommer nicht durch die Stadt, ohne
dass nicht irgendein Fest oder eine andere
Veranstaltung stattfindet. Was ich
persönlich etwas negativ finde ist, dass
man diese positiven Dinge oft nicht so
wahrnimmt. Also ich würde mir wünschen,
dass die Leute manchmal öfter sehen würden,
wie gut es hier eigentlich ist.
Was die Menschen derzeit bewegt, nicht
nur in Göppingen, sondern in ganz
Deutschland, sind die gedrosselten Gaszufuhren
aus Russland. Was wird in
Göppingen unternommen, um bevorstehende
Gasengpässe bewältigen zu
können?
Wir haben relativ früh einen Krisenstab
eingerichtet und sind gerade dabei, ein
Maßnahmenpaket zu schnüren, in verschiedenen
Bereichen. Das eine betrifft
natürlich das Energiesparen. Wir müssen
jetzt die Speicher für den Winter voll bekommen
und natürlich auch im Winter wei-
Für die September-Ausgabe hat
MORITZ bei Göppingens Oberbürgermeister
Alex Maier (Bündnis
90/Die Grünen) vorbeigeschaut.
Der 31-Jährige ist der jüngste amtierende
OB Deutschlands und
kämpft für eine tolerante Gesellschaft.
Mit Redaktionsleiter Dr.
Riccardo Terrasi hat er über seine
Heimatstadt, seine Pläne und
Überzeugungen gesprochen.
Herr Maier, bei Ihrer Wahl zum Oberbürgermeister
von Göppingen im Januar
2021 wurden Sie mit ihren damals 29
Jahren zum jüngsten Oberbürgermeister
Deutschlands. Gab es deswegen
Vorbehalte?
Die Wahl war natürlich eine Riesenehre für
mich. Ich weiß nicht, ob man sich vorstellen
kann, wie es ist so ein Amt in seiner
Heimatstadt ausüben zu dürfen. Dass die
Leute mir das Vertrauen schenken, obwohl
ich so jung bin, das ist natürlich eine
große Verantwortung aber zugleich auch
eine große Ehre. Das Alter hat aber im
Wahlkampf keine so große Rolle gespielt,
wie man es vielleicht vermuten könnte. Da
ging es eher um Inhalte. Vorbehalte habe
ich schon gehört, aber die gibt es, glaube
ich, immer.
Wie sind Sie zur Politik gekommen?
Durch die Bundestagswahl 2009. Ich war
damals 18 und durfte zum ersten Mal
wählen. Ich habe mich über die Wahlprogramme
informiert, sie gelesen, und dann
gleich eins gefunden, das mich sehr angesprochen
hat – und ich bin dann ziemlich
schnell Mitglied bei den Grünen geworden.
Ich bin bis heute überzeugt, dass politisches
Interesse mit der Beteiligungsmöglichkeit
kommt. Deshalb bin ich ein
großer Fan davon, dass das Wahlalter auch
bei der Landtagswahl auf 16 Jahre abgesenkt
werden soll. Ich glaube, sobald junge
Menschen die Gelegenheit haben mitzubestimmen,
fällt es ihnen leichter, sich
auch zu informieren. Denn warum soll ich
mich informieren oder engagieren oder
mitdiskutieren bei einer Sache, wo ich
selbst nicht wirklich entscheiden darf?
Warum haben Sie sich für die Grünen
entschieden?
Das wichtigste Thema bei den Grünen war
für mich das Streben nach einer offenen
Gesellschaft und Toleranz. Das hat mich eigentlich
sofort überzeugt. Jeder soll leben,
wie er will, solange er damit keinem ande-
Foto: Stadt Göppingen / Torres Mader
Göppingens OB Alex Maier (r.) im Gespräch mit Redaktionsleiter Dr. Riccardo Terrasi