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Foto: Andrea Rossetti, © VG Bild-Kunst Bonn, 2022.
»VOM VERRINNEN. ZEITKONZEPTE DER GEGENWARTSKUNST«
So entstand die Ausstellung
Kurator Holger Kube Ventura erzählt von der Entstehung der aktuellen
Ausstellung im Kunstmuseum Reutlingen | konkret.
»Die Ursprungsidee entstand während der ersten Welle der Corona-
Pandemie im Frühjahr 2020. Es war die Zeit der noch völlig ungewohnten
Ausgangssperren mit Homeschooling, Kurzarbeit, langen
Sofa-Abenden und körperlos gewordener Zwischenmenschlichkeit,
mit bizarren Klopapier-Hamsterkäufen sowie wöchentlich neuen
Infektionstheorien zu Mund-Nase-Bedeckungen und Aerosol-
Dynamiken. Pharmakonzerne waren gerade erst in das Wettrennen
zur Entwicklung von Impfstoffen eingestiegen und die Bevölkerung
in das große Mitzählen der Tage und Wochen, der aufzubringenden
Euro-Millionen und natürlich der Erkrankten und Toten.
Von den weltweiten Verwerfungen und Schicksalsschlägen der
Pandemie absehend konnten viele Menschen berichten, dass sich
durch die Schutzregeln auch ihr Zeitgefühl stark verändert hatte.
Insbesondere die Lockdown-Phasen haben das Verrinnen der Zeit
entweder beschleunigt oder verlangsamt: Da viele gewohnte Routinen
aufgegeben und neue etabliert werden mussten (zum Beispiel
digital statt in Präsenz), da strukturierende Höhepunkte des Alltags
entfielen und die Tage ähnlicher wurden, verging die Zeit für manche
schneller als sonst. Für andere hingegen entstanden – ähnlich wie
bei der Langeweile – Zeitdehnungseffekte. Denn wenn Menschen
weniger erleben und deswegen die Zahl der im Gedächtnis als signifikant
gespeicherten Ereignisse zu stark abnimmt, verliert sich ihr
Gefühl dafür, ob etwas vor einer Woche, vor Monaten oder sogar
schon vor Jahren passiert ist. So war es auch bei mir. In den Lockdown
Phasen ließ ich die Tage oft ziellos vergehen, beobachtete den
Himmel oder den Fluss, bedachte die Vergangenheit, ersehnte die
Zukunft und ließ die Gegenwart eher indifferent auf mich regnen. Ich
schaute häufiger als sonst auf die Uhr und zählte die Stunden, oder –
Tommi Grönlund & Petteri Nisunen, Large Movement (2013).
im Gegenteil – vergaß die Zeit vollständig. Zuweilen ertappte ich mich
dabei, die eigene Endlichkeit zu reflektieren oder das Leben als ein
Pendeln zwischen Zuständen zu sehen. Während dieser Lockdown-
Phasen nahm das Projekt »Vom Verrinnen. Zeitkonzepte der Gegenwartskunst
« allmählich Form an.
In der Sammlung des Kunstmuseum Reutlingen | konkret finden sich
zahlreiche Werke, die ausgeprägt zeitliche Dimensionen aufweisen,
insbesondere jene von Bernard Aubertin, Rom Gaastra, Dimitry Orlac
und George Rickey. Es lag nahe, diese mit anderen Positionen zu
kombinieren, die zwar ähnliche thematische Anliegen verfolgen, aber
zunächst wohl nicht in der Nachbarschaft von Konkreter Kunst vermutet
worden wären. Gemäß seiner programmatischen Agenda
schlägt das Kunstmuseum Reutlingen | konkret somit ein weiteres
Mal vor, diesen vermeintlich historisch gewordenen Begriff anhand
künstlerischer Konzepte der Gegenwart neu zu denken.«
Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm
begleitet. alh
Alle Infos: www.kunstmuseum-reutlingen.de/
veranstaltungen
Zeitkonzepte
der Gegenwartskunst
MORITZ
2022-06 35