Page 87

Sonderheft_freizeit_s

In Stuttgart und der Region ist immer etwas geboten. Das ganze Jahr locken viele Veranstaltungen Kulturbegeisterte und Unternehmungslustige. MORITZRedakteur Thomas Moegen begleitete die Reichsgräfin von Grävenitz auf einer historischen Stadtführung durch das barocke Ludwigsburg. 280 Jahre rüCkwärtS durCh die zeit Als ich den Hof des Residenzschlosses Ludwigsburg betrete, blendet mich die zitronengelbe Fassade und ich flüchte sofort in den Schatten eines Torbogens. Ganz schön was los hier. Plötzlich schreitet ein wohlproportioniertes, barockes Frauenzimmer in einem roten, wallenden Kleid auf goldenen Schuhen anmutig über das Kopfsteinpflaster. Es ist die Reichsgräfin Wilhelmine von Grävenitz, die genau 280 Jahre rückwärts durch die Zeit gereist ist. In einem Wimpernschlag sorgt die Hofdame vor der steinernen Kulisse des Ludwigsburger Prunkbaus für Leben und zieht alle magnetisch an. Auch ich gerate in diesen Sog. Ich versuche, meinen Blick vom drallen Dekolleté und dem eng geschnürten Korsett abzuwenden. Freundlich und geduldig erlaubt die Adelige es Bürgerlichen, ein »digitales Porträt von ihr zu malen«. Um die Gunst der »Powerfrau aus dem 18. Jahrhundert « zu erlangen und an der Führung teilzunehmen, sollte man ein paar vergängliche Gulden an die Aristokratin entrichten. Gräfin mit Charme und SChirm Mit Charme und Chuzpe nimmt »Die Grävenitz«, Ehefrau von Stadtgründer Herzog Eberhard Ludwig, auf eine Reise durch Schloss und über die Plätze Ludwigsburgs mit. Dabei plaudert sie über die aufregende Zeit am Hofe und ihren Aufstieg von einer mecklenburgischen Landmaus zu einer württembergischen Herrscherin. Sie lässt sich von einer Tour-Besucherin ihr weißes Sonnenschirmchen halten und sollte jemand non-chalant meinen, die Stadt-Geschichte besser zu kennen, hat der sich aber geschnitten. Denn: Wer hier etwas lernen will, muss »Ihrer Exzellenz« nur zuhören. Sie lässt sich ja auch dazu herab, mit uns nicht in der offiziellen Hofsprache Französisch zu parlieren. Als wir bei unserer Promenade an zwei Mädchen vorbeikommen, machen die einen höflich-höfischen Knicks und werden dafür mit Schoko-Goldtalern entlohnt. Fremde Männer, die Wilhelmine auf der Gasse mit einem »Bonjour« oder »Bonsoir« begrüßt, bleiben verwirrt stehen oder versuchen ihre Baffheit zu kaschieren. In der Gegenwart, die verglichen mit dem Barock etwas fade ist, heißt Wilhelmine von Grävenitz Sabine Servinho-Lohmann und ist mit ihrem Privatsekretär August von Krippendorf verheiratet, der ebenfalls durch Schloss und Stadt führt. Die Reichsgräfin kennt viele und viele kennen sie. Seit acht Jahren lebt sie ihre Rolle und repräsentiert dabei mit Fröhlichkeit spielerisch die historische Figur, den damaligen Zeitgeist und ihre Stadt. tmo www.barockerlebnis.de MORITZ Freizeit 2016 87


Sonderheft_freizeit_s
To see the actual publication please follow the link above